Montag

Für alle, die es schon immer wissen wollten: wie verläuft eigentlich so ein Montag in Erfurt, nachdem es in der Nacht drei Zentimeter Neuschnee gab?

09:05 Uhr: Die Badezimmertür fällt zu. Mist, da ist diese Frau in der Wohnung, jetzt im Bad. Da im Badezimmer auch die einzige Steckdose der Wohnung ist, kann man sich auch nur dort föhnen. Das dauert dann natürlich ein bisschen.

09:23 Uhr: Die Frau ist fertig, jetzt kann ich, hurra. Ich dusche bis 09:36 Uhr, danach frühstücke ich. 09:36 Uhr? Okay, heute kein Frühstück.

09:43 Uhr: Im Briefkasten ist natürlich der neue Spiegel nicht. Also geht es zur Straßenbahn. Nanu, da fährt ja schon eine 5, die ist dann wohl vier Minuten zu spät, also kann ich mir zur nächsten noch etwas Zeit lassen und langsam laufen. Nicht so am Montag, denn das Entertainment-Programm der EVAG beginnt mit einer Kolonnenfahrt nach dem bewährten System dreimal Fünf. Ich nehme dann Tor 2, da ist nicht der Zonk.

09:48 Uhr: Ankunft am Anger, wo sich der Zonk schonmal warm macht. Dann spricht er mit zentralthüringischer Stimme aus dem Off zu mir: „Werte Fahrgäste (fahren!? ich stehe noch!), bitte beachten Sie Behinderungen durch erschwerte Witterungsbedingungen. Die Linien 1, 2 und 5 verkehren unregelmäßig nach einer vereisten Weiche, auf den Linien 3 und 4 gibt es momentan kein Verkehrsangebot in Folge eines Unfalls und auf der Linie 6 kommt es zu Verzögerungen aufgrund von Verkehrsstau im Bereich Kaffeetrichter.“

10:04 Uhr: Am Anger hat sich wegen der viertelelf  beginnenden Uni ein gewisses aufgestautes Verkehrsbedürfnis gebildet, das durch einen Wagen der Linie 6 bedient wird. Das bedeutet, dass die ungeduldige ältere Dame, die zum Arzt muss, als erstes in die Bahn rammelt und durch das Verkehrsnachfragebedürfnis langsam nach hinten durchgeschoben wird.

10:09 Uhr: Der Wagen kommt an der Webergasse an, wo sich der Arzt der älteren Dame befindet. Deshalb wird die Bahn ausgeräumt, die Dame freigelassen und die Bahn anschließend wieder bepackt. Ein Glück, dass wir im Osten sind. Im Westen wärs womöglich keine ältere Dame, sondern ein Kinderwagen gewesen, was für ein Graus, wie viel Platz der weggenommen hätte…

10:18 Uhr: Mittlerweile haben wir uns zur Universität getrödelt, wo die Bahn – diesmal endgültig – ausgekippt wird. Das bedeutet, dass ich etwa zehn Minuten zu spät im Seminar ankam.

10:44 Uhr: Im Seminar passiert eigentlich nichts, doch dann stelle ich eine Frage. Der Dozent erwiedert: sosehr ich Ihre Mitarbeit begrüße, aber sie müssen schon vorher die Texte zum Seminar lesen. Okay, es ist Montag. Also lassen wir das mit der Mitarbeit lieber erstmal sein.

11:58 Uhr: Mittagessen mit einem Kommilitonen. Das Tischgespräch kreist um die Hausarbeit in Politik und enthält auch die erste Pointe des Tages. „Eigentlich wollte ich erst über Haider schreiben, aber man schreibt ja nicht über tote schwule Faschisten aus Österreich, das gehört sich einfach nicht, wenn man nicht Guido Knopp ist.“

13:18 Uhr: Im Spanischunterricht sollen wir eine Zukunftsvorhersage für einen Kommilitonen schreiben. Wie immer wenn Montag wird auch hier hart verhandelt: okay, sie bekommt hübsche Kinder, aber nur, wenn sie dafür geschieden ist. Gut, so geht das durch.

14:38 Uhr: Zuhause ein bisschen Hausarbeit schreiben, um Wikipedia geht es diesmal. Nachdem das Netz etwas  stottert, bricht es letztlich ganz zusammen. Gut, dann eben jetzt keine Hausarbeit – ohne Internet ist das ja zum Thema Wikipedia nur schlecht zu machen. Also einfach Sitzen. Sitzen. ……..   ……… …….. … …..     ……    ……. … ….. ……      ….  … Sitzen.

17:23 Uhr: Wieder auf dem Weg zur Uni. An der Straßenbahnhaltestelle hat sich wieder eine gewisse Betriebsamkeit eingestellt. An der Anzeige steht, dass die Linie 1 in 12 Minuten fährt. Schön, dann fährt ja sicher in 2 Minuten auch noch eine, weil die Anzeige öfter mal eine Bahn unterschlägt. Heute nicht, weil Montag ist, arbeitet die Anzeige zuverlässig.

17:37 Uhr: Eine etwas überfüllte Bahn fährt vor, um das aufgestaute Verkehrsbedürfnis zu befriedigen. Diesmal geht es bis kurz hinter die Futterstraße, dann ruckt es und dann steht es. Der aufmerksame Beobachter fragt sich jetzt: nanu, was hat das EVAG-Entertainment-Programm-Special „Montag“ vorbereitet? Eine vereiste Fahrleitung? Eine Weichenstörung? Ein Schaden am Triebfahrzeug? Nein, es ist der erste Cayenne des Tages. Asche auf mein Haupt, dass ich den Brandsatz zuhause vergessen habe. Nach drei Minuten intensiven Klingelns lässt sich auch dieses Problem lösen, indem der Lackaff seine Kaschemme beiseite fährt.

17:48 Uhr: Am Anger passiert erstmal nichts. Dann hat das Programm einen weiteren Höhepunkt vorbereitet: eine Bahn, die am Anfang ihres quirligen Lebens als 4 geboren wurde, fährt nun – wie flexibel – als 3 zur Universität. Deshalb bin ich diesmal sogar nur fünf Minuten zu spät im Seminar. Diesmal gibt es dort einen Gastredner (das Seminar beschäftigt sich mit Medienpolitik), der – um mich zu beglücken – über rechtliche Fragen für Journalisten spricht. Nachdem mein unterdrücktes Verlangen nach juristischen Inhalten befriedigt wurde, kam ich, um meinen Tagesablauf nicht durcheinander zu werfen zehn Minuten zu spät aus dem Seminar. Nach so einem Tag brauche ich ein gutes Abendessen. Döner? Hm, um die Uhrzeit, ist der da denn noch frisch? Lieber nicht. Linsensuppe aus der Dose? Unmöglich, heute (Montag) kann ich nicht noch das Risiko eingehen, auf einen Dosenöffner angewiesen zu sein. Das würde weiser Voraussicht nach nicht funktionieren. Also machen wir doch einfach gemäß der Vorgaben des Gehirnzentrums für Risikobewertung Pizza.

19:52 Uhr: Am Anger angekommen, gehe ich rüber zur Linie 5. Das Entertainment-Programm sieht jetzt den zweiten Cayenne an der Futterstraße vor. Okay, mein Gott, geht doch immer, was solls. Moment, so nicht. Es ist nach der Geschäftszeit, das bedeutet, dass niemand kommt, wenn man drei Minuten klingelt.

20:04 Uhr: Langsam reift in mir die Erkenntnis, dass ein geschickt ins System eingespeister Cayenne mehr bewirken kann, als drei vereiste Weichen, ein Verkehrsunfall und 27 Kilometer Stau im Bereich Kaffeetrichter.

20:12 Uhr: Das minderjährige Bückstück neben mir fängt auch schon an zu frieren, so wie ich auch. Bärbel und Renate*, die wohl gerade vom Ährrobbickkurs kamen, diskutierten hingegen, wie sie nach Hause kommen. Nach einigen Telefonaten stellt sich heraus, dass der Rainer* mit dem Auto zum Europaplatz kommt und die beiden dort holt.

20:17 Uhr: Was sieht denn das Informationsangebot der EVAG jetzt vor? Hmm, die 5 hat Stau, aber es kommt noch eine 2, die zum Betriebshof an der Lutherkirche fährt. Das klingt nach Hoffnung in 26 Minuten.

20:31 Uhr: Mittlerweile fahren bereits Bahnen vor, die ein N im Namen tragen und fahren, wenn das Männchen pfeift. Auf der Anzeige taucht nach wie vor der Falschparker auf der Johannesstraße auf. Wie diskriminierend. Wer sagt eigentlich, dass es keine Falschparkerin ist? Diese Frage beschäftigt mich noch weiter und wurde erst von der Frau in meiner Wohnung geklärt: „Meinst du wirklich, dass eine Frau einen Cayenne auf der Johannesstraße bei Schnee falsch geparkt kriegt?“. Da hat sie natürlich auch wieder recht.

20:38 Uhr: Der Knoten ist geplatzt, zur Abrundung des Entertainment-Programms endet der Tag, wie er begonnen hat: mit einer Kolonnenfahrt aus gefühlten sieben Wagen, die hinter dem Falschparker/-in in der Johannesstraße festhingen.

20:56 Uhr: Ankunft dorhäme nach einem kurzen Einkauf in dor Kaufhalle. Nun noch Pizza machen, ein bisschen mit den Frauen aus der Wohnung philosophieren.

23:43 Uhr: Ins Bett. Also wieder ne Woche Ruhe und dann Montag. Bis dann 🙂

* Namen von der Redaktion geändert.

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