Glaskugel 2011

Oktober 19, 2010

Jetzt wird es spannend, denn es tut sich etwas in der Politik. Es gibt wieder große Themen: Integration, Stuttgart 21, Atomkraft. Und es gibt Verschiebungen in der politischen Landschaft.

Integration. Das ist keine Frage vom Muslimsein, Christsein oder Religion. Es ist auch keine vordergründige Frage der Muttersprache. Integration ist eine Bildungsfrage, denn die Diskussion müsste eigentlich auf jene 20 % der Großstadtbevölkerung gerichtet sein, die ökonomisch ausgegrenzt sind und sich in Parallelgesellschaften flüchten. Warum eine Parallelgesellschaft mit Kopftuch und Koranschule gefährlicher sein soll als eine aus Plattenbau, RTL und Springerstiefeln müsste mir dann auch noch jemand erklären. Diese städtische Unterschicht ist nun nichts neues, die gibt es, seitdem es Städte gibt. Im 21. Jahrhundert aber sollte es unserem Land, das reich an Geld und arm an jungen Menschen ist, möglich sein, JEDEM im Bildungssystem Möglichkeiten zu geben, positiv an der Gesellschaft teilzunehmen. Was bedeutet das? Die derzeitige Debatte um Sarrazin, Seehofer und alle anderen ist vollkommen nutzlos. Sie wird von den Politikern bewusst geschürt, um vom wahren Problem abzulenken. Es ist in Wirklichkeit das Bildungssystem, das versagt hat, dort liegt der Hase im Pfeffer. Und dort ist es höchste Eisenbahn. Jeder, egal ob Ali oder Jenny muss als Jugendlicher die deutsche Sprache in Wort und Schrift fehlerfrei beherrschen. Wer glaubt, dass nur Migranten da ihre Probleme haben, betreibt Augenwischerei. Letztendlich können wir uns das nicht mehr leisten, einen Teil unserer jungen Menschen durchs Raster fallen zu lassen. Die Wirtschaft wird wegen des demografischen Wandels jeden brauchen. Deshalb brauchen wir viel Zuwanderung, andernfalls kollabieren die Sozialsysteme bald unter Renten- und Krankenkosten der überalterten Gesellschaft. Außerdem brauchen wir auch alle Jugendlichen in Deutschland. Die Integrationsdebatte sollte also nicht kulturell, sondern sozial fokussiert sein.

Dagegen ist Stuttgart 21 eigentlich völlig rille. Ob das Ding gebaut wird oder nicht ist eigentlich egal. Was wir davon mitnehmen können ist, dass jene Generation von Politikern, die in westdeutschem Frieden und Wohlstand aufwuchs, einen glatten Lebenslauf hinlegte und heute in einigen Parteien führt, anscheinend nicht mehr mit jenem politischen Instinkt ausgestattet ist, den die alten Herren noch hatten. Teil dieses Instinktes war es, nicht auf die Kinder des eigenen Millieus einzukloppen. Sowas macht man halt einfach nicht (völlig egal, worum es inhaltlich geht), wer das als Politiker nicht schnallt, hat es auch nicht verdient, weiter regieren zu dürfen. Auch bei der Atomkraft scheint der CDU der politische Instinkt völlig abhanden gekommen zu sein. Ist es hilfreich, eine Entscheidung, die nicht notwendig ist, gegen die Bevölkerung durchzudrücken? Eigentlich nicht, auch für so viel Instinktlosigkeit darf man abgewählt werden.

Wie geht es also 2011 weiter? Wir haben sechs Landtagswahlen, von denen die CDU ziemlich genau null gewinnen wird. Am 20. März wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Die Linkspartei wird stärkste Partei werden und es wird eine rot-rote Koalition geben. Damit ist die CDU dort schonmal durch. Eine Woche später ist Rheinland-Pfalz dran. König Kurt wird gewinnen und eine rot-grüne Koalition wird regieren. Am selben Tag Baden-Württemberg, wo es die erste grün-rote Koalition geben wird. Im Mai folgt die Bremenwahl, bei der die rot-grüne Koalition fortgesetzt wird und im September geht es in Berlin los, auch dort mit rot-grün. Auch Mecklenburg-Vorpommern wählt an diesem Tag, auch hier wird die Linkspartei gewinnen und rot-rot kommen.

Für Frau Merkel wird es dann sehr sehr eng werden. Bisher hatte sie einen bemerkenswerten politischen Instinkt. Leider hat dieser sie verlassen, jetzt, wo sie sich hinter Stuttgart 21 stellt und das konservative Profil schärft, indem sie Seehofer stützt und gegen die Präimplantationsdiagnostik ist. All das geschieht ohne Not und aus freien Stücken, da bindet sie sich an sinkende Schiffe, anstatt wie früher rechtzeitig von Bord zu gehen. Damit wird auch sie untergehen. Obs schon 2011 soweit ist oder erst später, das werden wir dann sehen.

Es lebe die Freiheit

Oktober 3, 2010

Heute ist die Wiedervereinigung 20 Jahre her. Auch für Erfurt markierte sie einen enormen Umbruch, konnten so doch weite Teile der historischen Altstadt erhalten werden, die sonst die 90er-Jahre nicht überstanden hätten. Auch wirtschaftlich und kulturell hat sich so viel verändert: es gibt nun eine Universität und über 10.000 Studenten in der Stadt, es gibt ein Messegelände, eine vielfältige Medienbranche und eine große Solarzellenfabrik. Auch eine neue Autobahn, ein neuer Bahnhof und ein modernisiertes und erweitertes Straßenbahnnetz entstanden seitdem. Waren die 90er noch eine schwierige Zeit, geprägt von der ökonomischen Vollbremsung nach dem Ende der DDR, so kann man doch sagen, dass die Stadt seit einigen Jahren blüht und gedeiht. Die Einwohnerzahlen steigen, die Arbeitslosigkeit hat sich halbiert und liegt nun bei unter 10 % in Bereichen, wie sie auch in westdeutschen Großstädten anzutreffen ist. Selbst jene, die ihre Arbeit verloren haben, können heute eine sanierte, zentralgeheizte Wohnung mit Badezimmer bewohnen und dank Aldi, Lidl & Co. Bananen bis zum Erbrechen verzehren. Das heißt, es wurde viel erreicht.

In den Köpfen geht es langsamer als in der Echtzeit. Die Welt verändert sich nun in der „Großstadt“ so schnell, dass nicht alle mitkommen. Es gibt nun Jugendgangs, sowohl Ur-Rieth als auch Saratow-Rieth oder Gaziantep-Rieth, es gibt Bordelle, es gibt Leute, die Drogen nehmen und es gibt Leute, die in der Straßenbahn auf den Plätzen für die Ommas sitzen. Es gibt auch Leute, denen das zu schnell geht, es überfordert sie und sie suchen etwas Halt, Halt in der Vergangenheit, die doch sehr viel klarer und einfacher strukturiert war. Diese Menschen kann man wohl heute nicht mehr mitnehmen, in diesem Fall hilft uns nur die Zeit, die wohl irgendwann alle Wunden eine Etage tiefer legt. Wer mal in die Köpfe dieser Menschen schauen will, dem sei der Offene Brief an die Landtagsabgeordnete ab Seite 2 empfohlen.

Nun aber zum interessanten Teil. Diese 20 Jahre wiedervereinigtes Deutschland werden natürlich auch gefeiert. In Erfurt? In Erfurt gibt es ein „Bürgerfest“, aber nur von 13 bis 17 Uhr vor dem Rathaus. Das ist das kleine Ding. Das große Ding, das ist der verkaufsoffene Sonntag. Er ist sozusagen die offizielle Siegesfeier des Kapitalismus, lang lebe der Konsum (der mit langem U), lang leben die vollen Regale, kaufen, kaufen, kaufen. Mal ehrlich, liebe Stadtverwaltung, muss denn sowas sein? Muss ausgerechnet am 20. Jahrestag der Neugründung des Landes keine Zeit für eine andächtige, feierliche Minute gelassen werden? Heute ein verkaufsoffener Sonntag, das ist zwar schon irgendwie ulkig und zeigt, dass wir angekommen sind in der neuen Zeit, aber es ist irgendwie auch unwürdig. In unserer Stadt sind vielleicht noch 20 % der Bevölkerung Christen und trotzdem werden verkaufsoffene Tage an christlichen Feiertagen vermieden, wegen der Bedächtigkeit. Aber die ganze Bevölkerung ist vom Tag der deutschen Einheit betroffen und fast alle können damit etwas verbinden – in keinem, aber wirklich gar keinem unserer Nachbarstaaten würde der 20. Jahrestag der Republik mit einem verkaufsoffenen Tag und so ziemlich ohne Feiertamtam begangen werden. Als gäbe es nichts zu feiern… In Erfurt sieht man doch deutlicher als irgendwo anders in Neufünfland, dass es etwas zu feiern gäbe.

150 Jahre Bahnhof Gößnitz

September 7, 2010

Wir feiern 150. Geburtstag des Bahnhofs in Gößnitz. Das ist natürlich nicht ganz korrekt, denn Gößnitz im Altenburger Land erhielt schon 1844 einen Bahnanschluss, aber das Empfangsgebäude stammt aus dem Jahr 1860 und wird nun damit 150 Jahre alt. Da die dortigen Strecken der Sächsischen Staatsbahn gehörten, baute sie auch das Gebäude. Es entstand in prunkvollen, neobarocken Formen mit einem Mittelpavillon und zwei seitlich abschließenden, mehrgeschossigen Bauten und trägt die gleiche Formensprache wie der Altenburger Bahnhof, der allerdings 20 Jahre jünger ist. Damit zählt das Gößnitzer Bahnhofsgebäude nicht nur zu den ältesten noch vorhandenen größeren Bahnhofsbauten in Thüringen, sondern auch zu den am eindrucksvollsten gestalteten, wurde doch bei der Sächsischen Bahn in Allgemeinen dekorativer gebaut als bei den preußischen und thüringischen Gesellschaften. Das alles führte dazu, dass Gößnitz sich zur Eisenbahnerstadt entwickelte und der Bahnhof gemäß dem Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler von Georg Dehio neben der Stadtkirche das bedeutendste Baudenkmal der 4000-Einwohner-Stadt ist.

Für dieses zentrale kulturgeschichtliche Erbe der Stadt fühlt sich jedoch heute keiner mehr zuständig, nicht die Stadt und schon gar nicht die Bahn. Wie anders sähe das aus, wenn das Architekturdenkmal kein Bahnhof, sondern ein Schloss wäre – die architektonische Gestaltung ist allemal vergleichbar. Und so ließen beide das Gebäude nach der Wende einfach vergammeln und nun zum 150. Geburtstag abreißen. Entstehen sollen dafür ein Parkplatz und Grünflächen, beides ist am Bahnhof aber schon heute überreichlich vorhanden und damit eine überflüssige Geldvergeigelung. Und hier beginnt das eigentliche Problem.

Es ist ja nicht so schlimm, wenn Bahnhofsgebäude abgerissen werden, denn die meisten sind hundertfach duplizierte Zweckbauten der wilhelminischen Zeit. Gößnitz ist anders, denn es stammt aus der Frühzeit der Eisenbahn und es ist von architekturhistorischem Wert. Auch ein gewisser historischer Wert ist vorhanden, wäre Gößnitz doch ohne den Eisenbahnknoten ein völlig unbedeutender Ort geblieben, deshalb steht es auch unter Denkmalschutz. Es wird ja nicht erwartet, dass der Umsteigebahnhof heute noch Service für Reisende anbietet, aber zumindest die Erhaltung des Gebäudes, zumal wenn es das einzige wesentliche profane Baudenkmal der Stadt ist, sollte schon drin sein. Man kann ein solches Objekt ja auch gewerblich nutzen, z.B. für Autovermietungen, Taxibüros oder was eben sonst so in einem solchen Gebäude drin ist. Doch die Gößnitzer sehen in dem Bahnhof kein Baudenkmal, sondern einen Schandfleck (der Außenstehende würde meinen, auf einen Schandfleck mehr oder weniger kommt es in dieser gottverlassenen Gegend nun auch nicht an) und so gehörte der Bürgermeister gemeinsam mit dem Lokalblättchen zu denen, die am lautesten nach der Abrissbirne riefen. Auch die Denkmalschutzbehörden des Altenburger Lands winkten das Vorhaben schnell durch und so können nun endlich ein weiterer Parkplatz für weitere nicht vorhandene Autos sowie eine weitere Grünbrache entstehen. Die Bahn freut sich natürlich, denn sie kann wertlosen Grund und Boden, für den kein Investor auch nur einen Cent bezahlen würde, an die Kommune verkaufen.

Das Altenburger Land kann sich dann also bald als Gegend mit dem besten Parkplatz-Einwohner-Verhältnis touristisch anpreisen. Sonst ist ja in Gößnitz nichts mehr, nur noch die Alten (Restlaufzeit wird wohl nicht verlängert) und die, die es nicht geschafft haben, zu flüchten. Dann wird die gemeinsame Geschichte entfernt und die denkbar kreativste Lösung folgt. Ja, so sieht eine Gegend aus, die sich selbst aufgegeben und im großen Jammerteich ertränkt hat. Das Land der Initiative und der Ideen ist weit weg. Auch der Bund fördert kräftig mit, Konjunkturpaket II um ein Denkmal verschwinden zu lassen und einen Parkplatz in die neu angelegte Pampa zu betonieren, den niemand braucht. Gucken wir mal, wann er von formschönem Dauergrün überwachsen sein wird.

Neues von meinem Lieblingssarazenen

August 30, 2010

Kennen Sie die Sarazenen noch? Diese Räuber, die – aus Arabien kommend – im Mittelalter in Südeuropa auftauchten, um zu plündern? Jaja, es gibt sie auch heute noch, diese bösen Menschen, die mit ihren schnellen Brütern in nur sechs Monaten ein neues Kopftuchmädchen produzieren können und sich selbst damit ständig upgraden, von Hartz IV auf Hartz VI und Hartz VIII.  Da haben wir wirklich Glück, dass einer nicht den Verstand verloren hat – Thilo Sarrazin. Eindringlich warnt er vor plündernden Sarazenen in Europa – er muss es ja, als eine Art Überläufer, wissen. Glück hat er, dass durch eine hinreichende Zahl an Mischehen unter seinen Vorfahren seine Gene inzwischen mehrheitlich deutsch sind und er deshalb kein Leben in Verblödung führen muss. Oder doch?

Er merkt jedenfalls, dass er langsam alt wird und seine Fahnenstange im Berliner Senat endete. Seitdem geht es über die Bundesbank abwärts auf der Bedeutungsskala. Dies wird seinem Ego natürlich nicht gerecht und so wird ein öffentlicher Auftritt und Aufmerksamkeit gebraucht. Die gibt es, seitdem sich sein Ex-Chef geoutet hat für Homosexuelle nicht mehr, also muss er ein anderes Feld suchen. Analog zu Vorbildern wie Geert Wilders und Jörg Haider (denen die eben skizzierte Problemstellung bekannt sein dürfte ;-)) geht es also aufs Feld der Provokation durch „irgendwas mit Ausländern“. Wissenschaftlich fundiert wird sowas in Deutschland seit den 1930er-Jahren grundsätzlich durch die Eugenik.

Natürlich sind die lieben Gene nicht nur an den „schönen blonden Haaren“ von Halbindonesier Geert Wilders schuld, sondern auch an der Intelligenz von Menschen. Allerdings auch nur zu ziemlich genau 50 bis 80 %, wobei es bei einigen Gruppen auch zu 100 % zutrifft. Zum Beispiel bei Juden (die sind nämlich alle schlau) und bei Türken (alle doof). Außer Sarrazins Vorzeigetürkin („ganz andere Exemplare…“) Necla Kelek. Genetisch gesehen ist die ja auch keine Türkin (sonst wär sie ja doof), sondern Tscherkessin (und damit genetisch eher eine Kaukasierin und keine Turkvölkin), soweit, so logisch. Für den Durchschnittskunden Sarrazins Werks  sind alle Frauen, die irgendwie -lek heißen und schwarze Haare haben, trotzdem Türken.

Da Intelligenz erblich vorbedingt ist, konnte sich die Menschheit nie wirklich weiterentwickeln. Im Grunde genommen ist es nur ein glücklicher Zufall, dass wir irgendwann mit der Banane in der Hand vom Baum gefallen sind und so eine Art Zivilisation aufgebaut haben. Noch paradoxer scheint es, dass man tatsächlich einem Menschen, der wegen seiner mangelnden Intelligenz Bauer und nicht Herrscher geworden war, nachdem man ihn von der Knute des Vorgenannten befreit hat, etwas Bildung zukommen lassen konnte und so mittlerweile nicht mehr wie vor 100 Jahren Promille der Bevölkerung einen Hochschulabschluss haben, sondern schon so etwa ein Drittel. Daraus lässt sich eine erhebliche Mutation im Genom aller Deutschen konstatieren, die ohne Zweifel an allen Muslimen vorbei gegangen sein muss. Da eine solche Mutation aber ein einmaliges Phänomen darstellt und nicht wiederholt werden kann, ist das mutierte Volk dem Untergang nahe, da sich seine nichtmutierten Teile und alle anderen schneller vermehren.

Deshalb ist es sinnlos, zu versuchen durch Bildung eine erneute Mutation (diesmal im Genom der muslimischen Zuwanderer) herbeizuführen. Die bessere Alternative ist: Sozialleistungen kürzen. Aushungern das Pack. Gleichzeitig müssen Leute mit dem Intelligenz-Gen mehr Kinder kriegen, damit die statistische Verblödung Deutschlands abgewendet werden kann. Das schaffen wir bestimmt, deshalb ist es gut, dass der Messias zu uns kam, und uns endlich wieder zur Vernunft brachte.

Ein paar Tage Ennerweh

März 16, 2010

Städtereisen sind ja irgendwie im Trend und da liegt es ja nahe, sich einmal in der Kulturhauptstadt 2010, dem Ruhrgebiet, umzuschauen. Dabei kann man viele Eindrücke sammeln.

Paderborn

Der erste Halt auf der Reise nach Westen ist Paderborn, eine Stadt über die ich mich ja ganz gern mal redensartlich lustig mache, wenn es um sehr große Kleinstädte (145.000 Einwohner) geht. Nun konnte ich es endlich mal kennenlernen. Am Eingang der Fußgängerzone begrüßt einen ein überaus hübscher Brunnen im verbreiteten Stil des kleinstadtwestfälischen Neobrutalismus aus übereinander geschichteten Betonplatten. In der Altstadt selbst gibt es dann sehr wenig Altes, wobei das Rathaus und das Jesuitenkloster durchaus nett anzusehen sind. Ein komisches Gebäude ist das Dioezesanmuseum im modischen Zinkblech-Look (Bild). Im Ratskeller kann man sehr gut speisen, während im Bereich der Fußgängerzone sonst nur sehr wenige Kneipen vorhanden sind. Häufiger gibt es da Läden, die Priesterkleidung verkaufen – etwas, das ich nun noch nicht kannte. Die Leute sahen aber alle etwas bieder aus.

Essen

In Essen ist unser Hotel. Schwierig ist dort schon die Anfahrt über die vielen Straßen, die im Stadtplan nur ein Knäuel bilden. Danach geht es eine Runde durch die Innenstadt. Am Bahnhof wird noch ein bisschen gebaut, hier kam das Kulturstadtjahr anscheinend etwas überraschend. Interessant ist der erhaltene Teil der Innenstadt mit Bauten aus der Zeit zwischen 1910 und 1940. Hier war in Essen der „Völkerschlachtdenkmal-Stil“ sehr populär, wuchtig, Götterdämmerung, Steine. Dazwischen steht relativ banale Nachkriegsarchitektur mit besonders eckigen Fenstern und geraden Fassaden. Etwas eigenartig ist, dass in Essen innerhalb der Innenstadt einige Gebäude brach liegen, beispielsweise ein verfallenes Parkhaus, keine drei Minuten von der Fußgängerzone entfernt. Auf der anderen Seite wurde mit dem Limbecker Platz ein neues, riesiges Shopping-Center aus dem Boden gestampft, das durchaus nett gestaltet ist. Insgesamt ist Essen aber noch nicht so richtig bereit für die Kulturhauptstadt, so ist der Bahnhof noch eine Baustelle, die Touristen-Information hat Sonntags ganz zu und Samstags auch nur Vormittags geöffnet und am Bahnhof hängt nirgendwo ein Tarifzonenplan am Fahrkartenautomat, sodass man nicht weiß, welche Fahrkarte man nun für eine Fahrt in Essen oder eine Fahrt rüber nach Gelsenkirchen kaufen soll. Im Automaten gibt es da nur Preisstufen, man kann A2 kaufen, oder D oder B oder C. Wohin es damit geht, wird aber nirgends schnell erläutert. Auch ist es unmöglich am Bahnhof einen Liniennetzplan für die Stadt Essen zu bekommen, sodass man es schwer hat, als Tourist den ÖPNV zu nutzen. Der ist aber ohnehin nicht besonders gut ausgebaut. Der normale Ruhrbewohner neigt dann doch zum Benutzen des eigenen Autos und stellt sich jeden Tag zweimal auf der A40 an.

Düsseldorf

Am nächsten Tag ging es nach Düsseldorf, was im Vergleich zu den Städten an der Ruhr schon sowas wie eine richtige Stadt ist. Auch hier gibt es allerdings ein deutliches Beschilderungsdefizit zwischen Bahnhof und Innenstadt. Die Innenstadt selbst ist aber doch recht hübsch, hier lebt „die Bundesrepublik“ noch fort. Es gibt Damen im Pelzmantel, jede Menge dicke Autos und Läden, die unnützes Zeug verkaufen. Abends ging es dann auf der Bolkerstraße in eine der typischen Altkneipen, das ist schon sehr schön dort. Es gibt Bier und dazu Sauerbraten, bei dem noch ein Schälchen Apfelmus dabei ist, was den Thüringer schon wieder vor eine Herausforderung der Art „Wo schmier ich mir das denn hin?“ stellt. Aufs Fleisch? An den Kloß? Naja, wir essen es einfach danach als Nachtisch. Ob das für den Einheimischen genauso doof aussieht, wie für uns, wenn jemand das Schälchen Rotkraut zur Roulade als Nachtisch essen würde? Wir werden es wohl nie erfahren. Auf der Rückfahrt nehmen wir die S-Bahn, die auch die schönen Vororte im Essener Süden anfährt. Neben uns setzen sich zwei Omis im Pelzmantel und beginnen ein Gespräch. Es stellt sich heraus, dass sie beide im Golfclub sind. Anschließend erfährt man, was so die Probleme ihrer Lebenswelt sind. Jaja, Südfrankreich ist schon teuer geworden, 120 Euro für eine Stunde Golfen. Das ist ja schon viel Geld. Schönere Plätze, die billiger sind, gibt es aber z.B. auf Djerba, aber da ist das Gras im Sommer immer so schlecht. Auch in Portugal geht es gut. In Essen hat man immer so viele, die dann ihr Handicap gar nicht spielen. Sie spielt es, aber die anderen spielen es immer nicht. Was kann das Leben hart sein. Und hast du das gehört, dass die Fenster an den Kreuzfahrtschiffen nicht sicher sind? Herjeh. Da kann man sich gar nicht mehr sicher fühlen. Das ist irgendwie auch etwas Prägendes an Rhein und Ruhr, diese himmelschreienden Unterschiede zwischen der Oberklasse und der Unterklasse, etwas, das man sonst so ja auch nicht kennt. Millionäre, die ihren Reichtum extensiv zur Schau stellen und demgegenüber ein Heer armer und niedrig qualifizierter Ausländer, die alle Jobs machen, für die sich niemand „ohne Migrationshintergrund“ findet. Kellner, Zimmermädchen, Verkäufer etc. etc.

[Fortsetzung folgt]

Montag

Januar 12, 2010

Für alle, die es schon immer wissen wollten: wie verläuft eigentlich so ein Montag in Erfurt, nachdem es in der Nacht drei Zentimeter Neuschnee gab?

09:05 Uhr: Die Badezimmertür fällt zu. Mist, da ist diese Frau in der Wohnung, jetzt im Bad. Da im Badezimmer auch die einzige Steckdose der Wohnung ist, kann man sich auch nur dort föhnen. Das dauert dann natürlich ein bisschen.

09:23 Uhr: Die Frau ist fertig, jetzt kann ich, hurra. Ich dusche bis 09:36 Uhr, danach frühstücke ich. 09:36 Uhr? Okay, heute kein Frühstück.

09:43 Uhr: Im Briefkasten ist natürlich der neue Spiegel nicht. Also geht es zur Straßenbahn. Nanu, da fährt ja schon eine 5, die ist dann wohl vier Minuten zu spät, also kann ich mir zur nächsten noch etwas Zeit lassen und langsam laufen. Nicht so am Montag, denn das Entertainment-Programm der EVAG beginnt mit einer Kolonnenfahrt nach dem bewährten System dreimal Fünf. Ich nehme dann Tor 2, da ist nicht der Zonk.

09:48 Uhr: Ankunft am Anger, wo sich der Zonk schonmal warm macht. Dann spricht er mit zentralthüringischer Stimme aus dem Off zu mir: „Werte Fahrgäste (fahren!? ich stehe noch!), bitte beachten Sie Behinderungen durch erschwerte Witterungsbedingungen. Die Linien 1, 2 und 5 verkehren unregelmäßig nach einer vereisten Weiche, auf den Linien 3 und 4 gibt es momentan kein Verkehrsangebot in Folge eines Unfalls und auf der Linie 6 kommt es zu Verzögerungen aufgrund von Verkehrsstau im Bereich Kaffeetrichter.“

10:04 Uhr: Am Anger hat sich wegen der viertelelf  beginnenden Uni ein gewisses aufgestautes Verkehrsbedürfnis gebildet, das durch einen Wagen der Linie 6 bedient wird. Das bedeutet, dass die ungeduldige ältere Dame, die zum Arzt muss, als erstes in die Bahn rammelt und durch das Verkehrsnachfragebedürfnis langsam nach hinten durchgeschoben wird.

10:09 Uhr: Der Wagen kommt an der Webergasse an, wo sich der Arzt der älteren Dame befindet. Deshalb wird die Bahn ausgeräumt, die Dame freigelassen und die Bahn anschließend wieder bepackt. Ein Glück, dass wir im Osten sind. Im Westen wärs womöglich keine ältere Dame, sondern ein Kinderwagen gewesen, was für ein Graus, wie viel Platz der weggenommen hätte…

10:18 Uhr: Mittlerweile haben wir uns zur Universität getrödelt, wo die Bahn – diesmal endgültig – ausgekippt wird. Das bedeutet, dass ich etwa zehn Minuten zu spät im Seminar ankam.

10:44 Uhr: Im Seminar passiert eigentlich nichts, doch dann stelle ich eine Frage. Der Dozent erwiedert: sosehr ich Ihre Mitarbeit begrüße, aber sie müssen schon vorher die Texte zum Seminar lesen. Okay, es ist Montag. Also lassen wir das mit der Mitarbeit lieber erstmal sein.

11:58 Uhr: Mittagessen mit einem Kommilitonen. Das Tischgespräch kreist um die Hausarbeit in Politik und enthält auch die erste Pointe des Tages. „Eigentlich wollte ich erst über Haider schreiben, aber man schreibt ja nicht über tote schwule Faschisten aus Österreich, das gehört sich einfach nicht, wenn man nicht Guido Knopp ist.“

13:18 Uhr: Im Spanischunterricht sollen wir eine Zukunftsvorhersage für einen Kommilitonen schreiben. Wie immer wenn Montag wird auch hier hart verhandelt: okay, sie bekommt hübsche Kinder, aber nur, wenn sie dafür geschieden ist. Gut, so geht das durch.

14:38 Uhr: Zuhause ein bisschen Hausarbeit schreiben, um Wikipedia geht es diesmal. Nachdem das Netz etwas  stottert, bricht es letztlich ganz zusammen. Gut, dann eben jetzt keine Hausarbeit – ohne Internet ist das ja zum Thema Wikipedia nur schlecht zu machen. Also einfach Sitzen. Sitzen. ……..   ……… …….. … …..     ……    ……. … ….. ……      ….  … Sitzen.

17:23 Uhr: Wieder auf dem Weg zur Uni. An der Straßenbahnhaltestelle hat sich wieder eine gewisse Betriebsamkeit eingestellt. An der Anzeige steht, dass die Linie 1 in 12 Minuten fährt. Schön, dann fährt ja sicher in 2 Minuten auch noch eine, weil die Anzeige öfter mal eine Bahn unterschlägt. Heute nicht, weil Montag ist, arbeitet die Anzeige zuverlässig.

17:37 Uhr: Eine etwas überfüllte Bahn fährt vor, um das aufgestaute Verkehrsbedürfnis zu befriedigen. Diesmal geht es bis kurz hinter die Futterstraße, dann ruckt es und dann steht es. Der aufmerksame Beobachter fragt sich jetzt: nanu, was hat das EVAG-Entertainment-Programm-Special „Montag“ vorbereitet? Eine vereiste Fahrleitung? Eine Weichenstörung? Ein Schaden am Triebfahrzeug? Nein, es ist der erste Cayenne des Tages. Asche auf mein Haupt, dass ich den Brandsatz zuhause vergessen habe. Nach drei Minuten intensiven Klingelns lässt sich auch dieses Problem lösen, indem der Lackaff seine Kaschemme beiseite fährt.

17:48 Uhr: Am Anger passiert erstmal nichts. Dann hat das Programm einen weiteren Höhepunkt vorbereitet: eine Bahn, die am Anfang ihres quirligen Lebens als 4 geboren wurde, fährt nun – wie flexibel – als 3 zur Universität. Deshalb bin ich diesmal sogar nur fünf Minuten zu spät im Seminar. Diesmal gibt es dort einen Gastredner (das Seminar beschäftigt sich mit Medienpolitik), der – um mich zu beglücken – über rechtliche Fragen für Journalisten spricht. Nachdem mein unterdrücktes Verlangen nach juristischen Inhalten befriedigt wurde, kam ich, um meinen Tagesablauf nicht durcheinander zu werfen zehn Minuten zu spät aus dem Seminar. Nach so einem Tag brauche ich ein gutes Abendessen. Döner? Hm, um die Uhrzeit, ist der da denn noch frisch? Lieber nicht. Linsensuppe aus der Dose? Unmöglich, heute (Montag) kann ich nicht noch das Risiko eingehen, auf einen Dosenöffner angewiesen zu sein. Das würde weiser Voraussicht nach nicht funktionieren. Also machen wir doch einfach gemäß der Vorgaben des Gehirnzentrums für Risikobewertung Pizza.

19:52 Uhr: Am Anger angekommen, gehe ich rüber zur Linie 5. Das Entertainment-Programm sieht jetzt den zweiten Cayenne an der Futterstraße vor. Okay, mein Gott, geht doch immer, was solls. Moment, so nicht. Es ist nach der Geschäftszeit, das bedeutet, dass niemand kommt, wenn man drei Minuten klingelt.

20:04 Uhr: Langsam reift in mir die Erkenntnis, dass ein geschickt ins System eingespeister Cayenne mehr bewirken kann, als drei vereiste Weichen, ein Verkehrsunfall und 27 Kilometer Stau im Bereich Kaffeetrichter.

20:12 Uhr: Das minderjährige Bückstück neben mir fängt auch schon an zu frieren, so wie ich auch. Bärbel und Renate*, die wohl gerade vom Ährrobbickkurs kamen, diskutierten hingegen, wie sie nach Hause kommen. Nach einigen Telefonaten stellt sich heraus, dass der Rainer* mit dem Auto zum Europaplatz kommt und die beiden dort holt.

20:17 Uhr: Was sieht denn das Informationsangebot der EVAG jetzt vor? Hmm, die 5 hat Stau, aber es kommt noch eine 2, die zum Betriebshof an der Lutherkirche fährt. Das klingt nach Hoffnung in 26 Minuten.

20:31 Uhr: Mittlerweile fahren bereits Bahnen vor, die ein N im Namen tragen und fahren, wenn das Männchen pfeift. Auf der Anzeige taucht nach wie vor der Falschparker auf der Johannesstraße auf. Wie diskriminierend. Wer sagt eigentlich, dass es keine Falschparkerin ist? Diese Frage beschäftigt mich noch weiter und wurde erst von der Frau in meiner Wohnung geklärt: „Meinst du wirklich, dass eine Frau einen Cayenne auf der Johannesstraße bei Schnee falsch geparkt kriegt?“. Da hat sie natürlich auch wieder recht.

20:38 Uhr: Der Knoten ist geplatzt, zur Abrundung des Entertainment-Programms endet der Tag, wie er begonnen hat: mit einer Kolonnenfahrt aus gefühlten sieben Wagen, die hinter dem Falschparker/-in in der Johannesstraße festhingen.

20:56 Uhr: Ankunft dorhäme nach einem kurzen Einkauf in dor Kaufhalle. Nun noch Pizza machen, ein bisschen mit den Frauen aus der Wohnung philosophieren.

23:43 Uhr: Ins Bett. Also wieder ne Woche Ruhe und dann Montag. Bis dann 🙂

* Namen von der Redaktion geändert.

Das Ende der Thüringer Allgemeinen?

Dezember 2, 2009

Zum neuen Jahr wollte der WAZ-Konzern den Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Sergej Lochthofen, rausschmeißen. Nun ging es sogar noch schneller.

Lochthofen war seit 1990 Chefredakteur der TA und irgendwie etwas besonderes: so wurde diese Zeitung als erste ehemalige SED-Bezirkszeitung unabhängig und der Chefredakteur wurde nicht vom Verleger eingesetzt, sondern in der Zeit des Umbruchs von der Belegschaft in sein Amt gewählt. Dies verleiht Lochthofen besondere Legitimität. Das, und sein Erfolg, so hat die TA weniger mit Auflagenrückgängen zu kämpfen, als vergleichbare Blätter und steht verhältnismäßig gut da. Der scharfsinnige Lochthofen verhinderte, dass die TA zu einer beliebig-bräsigen Lokalpostille wird.

Aber nun wirft die TA ihrem Eigentümer, der Essener WAZ-Gruppe nicht mehr genügend Gewinn ab, sodass rationalisiert werden muss. Das ist mit Lochthofen nicht zu machen, also wurden er und seine Frau kurzerhand rausgeschmissen. Äußerst undankbar und verhältnismäßig geschmacklos ist das, aber es zeigt auch, dass die deutsche Zeitungslandschaft recht undemokratisch ist. Da Lochthofen sich gegen den Rausschmiss wehrte und Nazi-Vergleiche bemühte, setzte die WAZ noch einen drauf und schmiss ihn mit sofortiger Wirkung am heutigen Tag raus.

Sein Nachfolger, Paul-Josef Raue aus Castrop-Rauxel steht für ein anderes Zeitungskonzept: weniger Qualität, weniger Meinung, mehr Brei. Das ganze nennt sich dann „Bürgerzeitung“ – mehr Lokales, Artikel von Bürgern geschrieben. Man ist der Meinung das wäre, was die Leute wollen würden. Aber vor allem ist es billiger, leider lässt sich da aber nicht verhindern, dass eine Zeitung zur völligen Trivia-Sammlung verkommt. Lokalredaktionen sollen zusammengezogen werden, zum „Newsdesk“ wie bei der OTZ zentral an einer Stelle. Das spart Geld aber weniger Geld heißt wohl immer auch weniger Qualität. Raue wird das jetzt vier, fünf Jahre machen, bis ihn die WAZ-Gruppe wieder woandershin schickt und die TA ein ganz normales Wurschtblatt geworden ist. Fakt ist, dass man unter diesem Chefredakteur keine einzige Zeitung mehr verkaufen wird, als unter Lochthofen.

Rollo räumt auf

November 27, 2009

Heute gab es ein paar interessante Entwicklungen.

Zunächst wurde der Vertrag des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht verlängert, jedoch nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil Brender als Journalist zu neutral und zu unbequem ist. Damit konnte sich Roland Koch, der die Absetzung Brenders betrieb, durchsetzen.

Auch ein zweiter Kopf rollte: nach vier Wochen im Amt tritt Franz-Josef Jung zurück, weil er mit der Führung des Verteidigungsministeriums offensichtlich überfordert war (was natürlich niemanden verwundern kann) und der dortige Beamtenapparat im wesentlichen das tat, wozu er gerade lustig war, ohne den Chef darüber zu informieren. Da muss also jetzt ein bisschen umgebaut werden und wie die Angela das macht, überraschte dann doch.

Die Hausfrau und Mutter Ursula von der Leyen wird neue Arbeitsministerin und als neue Familienministerin zauberte die Hessen-CDU eine junge Dame namens Kristina Köhler aus dem Hut. Die Botschaft ist eindeutig: Familienpolitik soll in Zukunft wieder Gedöhnz sein und kein Politikschwerpunkt. Frau Köhler ist 32 und freikirchliche Politikwissenschaftlerin. Ihre große politische Erfahrung stützt sich im wesentlichen auf die Deutschenfeindlichkeitsdebatte. Kinder hat sie noch keine, aber sie könnte sich vorstellen wie es wohl wäre, welche zu haben. Unser kleines Naivchen hat nämlich festgestellt, dass es immer mehr Kriminalität von ausländischen Jugendlichen gegenüber Deutschen gibt. Das sagen ihr alle Polizisten und die sind aus der Praxis, die müssen es ja wissen. Die ausländischen Jugendlichen fühlen sich nämlich den Deutschen Schweinefleischfressern gegenüber überlegen und überhaupt, das Christentum ist ja auch Murks. Das ist Wasser auf die Mühlen von Roland Koch, da hat er eine hübsche Marionette. Ob diese Personalie wirklich gelungen ist angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland Großstädte gibt, in denen die Mehrheit der Kinder einen Migrationshintergrund hat, wird sich zeigen. In jedem Fall ist Frau Köhler für den ein oder anderen Ausrutscher nach rechtsaußen gut. Lustig wird das sicher noch.

In der Mitte in Liebe erdrückt

November 19, 2009

Ein Essay, um am Exempel grundsätzlich zu werden.

Oh je, oh je… verlieren wir die Mitte? Steht Deutschland am Abgrund? Alles wird immer schlimmer, sogar die Studenten protestieren wieder. Aber, genau das zeigt uns, dass wir mittlerweile alle beklemmend Mitte geworden sind.

1928, die Mitte zerbröselt und driftet nach links, vor allem aber zunehmend nach rechts. So war es. 13:55 Uhr, die Tür geht auf, ein schönes Wochenende noch, die Weimarer Republik ist vorbei. 14 Uhr, Demonstration auf dem Willy-Brandt-Platz: Bildung für alle. Doch langsam. Erstmal mit der Bahn hinfahren. Hinter mir höre ich schon Constantin, meinen soziologischen Prototypen. Constantin ist etwas zu groß und etwas zu fett, spricht etwas undeutlich, aber doch deutlich genug, um seine Wurzeln im Großraum Bielefeld zu verorten. Er studiert Staatswissenschaften, rechtliche und sozialwissenschaftliche Richtung. Mit dabei sind dann immer auch noch Alina und Josephin, die ihm zuhören (müssen?). Er erzählt von den Stura-Abstimmungsmodalitäten und was sie für einen Kniff angewendet haben, um irgendetwas durchzusetzen. Es ist ja in der Sache auch völlig egal, es geht nur darum: Constantin war dabei, der Held. Dann erzählt er von früher, der alte Haudegen. Als er noch Schülersprecher war, haben sie auch immer nicht die Schülerversammlung gefragt, sondern einen Schülerrat gegründet, ganz spontan, und der hat dann entschieden, was sie haben wollen. So ein richtiger Maoist ist er, unser Constantin. Am Bahnhof steigt er aus, um zur Demo zu gehen. Ich auch. Ich gucke und er wird geguckt. Ich gefalle mir beim Zugucken und er gefällt sich beim Beguckt werden.

Die Demo ist inzwischen schon vorangeschritten. Constantin erläutert seinen beiden Damen, dass wohl höchstens 117 Leute mitmachen werden, oha, das wird wieder peinlich und unnütz werden, wo er doch nicht dabei ist. Der Demozug ist am Löbertor. Und siehe da: 150 Leute sind es, maximal. Erstmal gibt es hier natürlich eine gewisse Situationskomik: der Honecker hat damals den Juri-Gagarin-Ring neu bebauen lassen, schön sozialistisch, Plattenbau und wums. Als Aufmarschstraße ist das gedacht. Und jetzt, 25 Jahre später marschiert dort diese Gruppe.

Was ist das für eine Gruppe, was treibt sie an? Zunächst muss man festhalten, dass es allein in Erfurt 10.000 Studenten gibt, in den Nachbarstädten sind es dann nochmal einige zusätzlich. Davon kommen 150, obwohl das derzeitige Uni-System durchaus genügend Anlass zum Protest gibt, in gewisser Weise ist es schon untragbar geworden. Zum Vergleich: beim Besetzten Haus sind 1000 Demonstranten gekommen, beim CSD dieses Jahr etwa 600. Und wenn es um Bildungspolitik geht. Ja. 150. Der Lenin hat mal die Partei neuen Typus erfunden. Dort gibt es kein Parteimitglied, sondern einen Berufsrevolutionär. Und in gewisser Weise ist es heute auch so. Denn da demonstrieren nicht etwa die, deren Studienbedingungen völlig untragbar sind – im Falle der Uni Erfurt sind das vor allem die Studierenden der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät – nein, es sind die Damen und Herren Staatswissenschaftler. Denen geht es eigentlich gut, die haben an der Uni alles, was sie so brauchen. Und warum demonstrieren sie da? Constantin würde sagen: weil sie sich für ihre Sache [Berufsrevolutionär] engagieren wollen. Aha. Ist es nicht vielmehr so, dass sie von ihrem Leben in der Mitte der Mitte völlig gelangweilt sind und aus Spaß, aus Abenteuer demonstrieren gehen? Hier, im wilden Osten, in den sie vor ein paar Semestern aus der westfälischen Kleinstadt kamen? Man kann sich ja dadurch wahnsinnig profilieren, oh, wie wird sich das erst im Lebenslauf machen? Großartig. Man ist engagiert. Das ist der Beweis. Und so bekommt jeder ein Trillerpfeifchen, weil man gern und oft demonstriert, Sache erstmal egal. Man ist Staatswissenschaftler, man demonstriert. Man muss es denen beweisen.

Denn die, die wirklich unzufrieden sind und sein müssen, die können nicht demonstrieren. Sie haben es nicht gelernt. Ihre Eltern sind Ossis, die es geschafft haben, ihr Kind auf eine Universität zu schicken. Sei schön fleißig und höre immer gut zu. Während demonstriert wird, müssen sie an der Kasse in der REWE sitzen und ihr Studium finanzieren, danach gehts dann ins Seminar. Sie sind auch unzufrieden, aber sie suchen die Schuld bei sich, das sie nicht genug leisten oder sich nicht genug anstrengen. Und die Politik? Sie tötet diese Demonstration. Denn es gibt keine Reibung mehr, wir sind alle Mitte. „Die Studenten haben recht, die Studenten müssen gehört werden…..“ Dadurch wird Protest, Reibung mit Liebe erdrückt. Früher konnte sich die Krawallelse (das ist die Dame, die sowohl beim Besetzen Haus, wie auch beim CSD und beim Bildungsstreik im Plärrwagen sitzt und ins Mikro brüllt) wenigstens noch an den Vertretern des Polizeistaats reiben. Aber nun, nach dem Ende der Ära Althaus ist auf dem Polizeikleinbus auch noch die Kamera umgedreht, weg vom Demonstrationszug. Es wird nur ein Audio-Mittschnitt gefertigt.

Spätestens in diesem Moment fragt man sich dann, was das denn eigentlich soll? Ein Demonstrationsmarsch aus im Westen zusammengekauften Politikstudenten (die ihr Ego mit „jaaa, ich bin engagiert“ aufpolieren), der von der Politik unterstützt und von der Thüringer Polizei nicht gefilmt und/oder mit Schlagstock begleitet wird. Eine Demonstration gegen die Herrschenden mit deren ausdrücklicher Unterstützung. Das ist quark. Sozusagen eine Mantelspekulation, mehr nicht. Oder, je nach dem, wie man es sieht: es ist der Ausdruck der Mitte und ihrer Kinder. In einer Gesellschaft der Individualisten der Mitte gibt es keine Demonstrationen mehr, sondern nur noch „Demonstrationen“. Unzufriedenheit, Leid, schlechte Zustände sind in unserer Gesellschaft individualisiert. Still. Stumm. Da gibts nichts mehr zu protestieren. Als die Straßenbahn zurück die Bahnhofstraße hinunter fährt, spiegelt sich ein Obdachloser in ihren Fenstern und prüft, wie seine Haare liegen. Er braucht nicht demonstrieren, es interessiert ja sowieso keinen. Solange es nicht mehr reibt, sind wir für meine Begriffe ein bisschen zu sehr Mitte geworden, ge?

Und alle: Tsching-ta-rassa-bumm!

November 5, 2009

Wer am Donnerstagabend durchs deutsche TV zappt, rechnet ja gemeinhin nicht mit Überraschungen. Nach Fußball, Krimi, Sitcom und Escher (der gemeinsam mit der Super-Ilona aus Magdeburg gerade wieder mitteldeutsche Senioren davor warnt, Polizisten ins Haus zu lassen, die die Geldkasette nach Falschgeld durchsuchen wollen – es könnten Betrüger sein!) reiht sich aber der innovativste Sender der Fernsehlandschaft ein: der Hessische Rundfunk. Da gibt es Fußball. Nein, doch nicht. Dressurreiten mit Musik und ohne Pferde? Hm, auch eher nicht. Ah, das ist die 60-Jahr-Feier der DDR. Nee, dahinten ist immer eine Praktiker-Werbung im Bild. Und im Sozialismus gibt es keinen Rabatt, schon gar nicht auf alles und erst recht nicht auf Tiernahrung. Okay, aber was soll das dann bitte sein? Wir sehen ein halbleeres Fußballstadion mit schunkelnden angeheiterten Senioren und in der Mitte eine Art Formations-CSD.

Der Videotext verspricht Aufklärung: es handelt sich um das 21. NATO-Musikfestival aus dem Kaiserslauterner Stadion. Die Musiker der Bundeswehr stapfen wie zu Kaisers Zeiten im Stechschritt über die Wiese und einer brüllt gelegentlich etwas. Das wichtigste ist dabei die Synchronität (zugegeben, die Nordkoreaner halten die Gewehre gerader) und der Tsching-ta-rassa-bumm-Grundtakt. Dann kommt noch die kompetente Moderatorin und lobt den geradezu spielerisch-leichten Umgang der Drilleinheit mit dem Gewehr, der gar nicht nach Drill aussehe. Hm, naja, man wundert sich über das deutsche Fernsehen. Aber: es geht weiter. Jetzt kommt die türkische Delegation (nun sieht es endgültig nach Formations-CSD aus) und exerziert und musiziert in „traditionellen“ Formen – oder das, was sich die NATO eben unter traditionell türkisch vorstellt.

An diesem Abend ist einfach alles erbärmlich. Eine Parade gehört auf die Straße, nicht ins Fußballstadion. Wenn schon im Fußballstadion, dann muss es wenigstens voll sein und das Publikum braucht Fähnchen. Wenn es nicht genug Publikum gibt, dann muss man das eben verlegen, vom Stadion am Betzenberg in die Hinterpfalzhalle nach Landstuhl oder so. Es muss nach viel aussehen. Also wirklich, wie sieht denn das aus? Was ist denn nur aus den Deutschen geworden? Und überhaupt, eine Übertragung in einem Dritten Programm. Sowas gehört doch in die ARD! Und dann noch diese komischen Türken dazwischen, auf deutschem Herrengras. Ein Graus. Da bekommt Opa im Stift noch Herzrasen und sehnt sich nach den guten alten Zeiten zurück, als Militärparaden noch nicht vom hr aus dem Fußballstadion von Kaiserslautern übertragen wurden.